Alwin Julius Lensch

Der Lebensweg des Rektors Alwin Julius Lensch, Niebüll von Lothar Lamb

Als sich der Geburtstag von Alwin Lensch vor 3 Jahren zum hundertsten Male jährte, ist dieser Tag in Niebüll ohne ein Gedenken an den Mann verlaufen, der sich um die Volks- und Berufsschule in Niebüll als auch um das Werden und Aufblühen des neuen Kreisortes Niebüll nach dem verlorenen 1. Weltkrieg sehr verdient gemacht hat. Wer mit offenen Augen durch Niebüll läuft, findet auch heute noch Gegenstände, die an das Wirken des Rektors Alwin Lensch in Niebüll erinnern. Nicht zu übersehen ist der Gedenkstein auf dem Niebüller Friedhof, wo Alwin Lensch begraben liegt, mit der Inschrift „ Der ist in tiefster Seele treu, der seine Heimat liebt wie du“. Neben der Alwin-Lensch-Straße erinnert außerdem die bronzene Büste an der Grund- und Hauptschule an seinen langjährigen Leiter.

Alwin Julius Lensch wurde am 12. Juni 1880 in Witzwort in Eiderstedt geboren. Sein Vater, Johann Hinrich Lensch, Lehrer von Beruf, und seine Mutter, Anne Sophie, geb. Lorenzen, waren in frühester jugend Waisenkinder geworden und haben damit den Ernst des Lebens vor den Altersgenossen erfahren. Es mag dies zur Prägung der inneren Werte beigetragen haben. Im Lehrerhaus wuchsen 5 Söhne heran; davon entschieden sich 3 zum Studium der Theologie während Alwin und der Bruder Martin den Erzieherberuf wählten. Die Eltern betrieben nebenher etwas Landwirtschaft, die das schmale Einkommen der damaligen Zeit erhöhte. Dennoch ist es für unsere heutigen Verhältnisse kaum faßbar, wie das Elternpaar es fertiggebracht hat, alle 5 Söhne studieren zu lassen. Gottvertrauen, Fleiß und Sparsamkeit waren auch die Werte, die Alwin Lensch aus seinem Elternhaus übernommen hat. In späten Jahren haben sich seine Eltern noch ein staatliches Haus bauen können. Die Inschrift über der Haustür „bete und arbeite“ paßte so ganz zum Geiste, der drinnen waltete.

„Du sollst helfen, wo du nur kannst“, diese Worte seiner Mutter war Richtschnur des Lebens von Alwin Lensch.

Alwin kam zwecks Vorbereitung für den Besuch des Lehrerseminars nach Drelsdorf, wo er vorbildliche Betreuung fand durch den berühmten Rechenmeister Johnsen. Mit 18 Jahren bestand er die Aufnahmeprüfung im Seminar zu Tondern, das er Ostern 1901 mit einem guten Abschlußzeugnis verließ. Die erste Anstellung fand er in Rodenäs, wo er die Gefährtin seines Lebens, Minna Nissen, kennenlernte.

Als er nach 4jähriger Tätigkeit von dort schied, um in den Schuldienst der Stadt Flensburg zu kommen, schenkte die Gemeinde ihm zum Dank für vorbildliche Arbeit an der Jugend ein schönes Bild von Hans-Peter Feddersen, das noch heute ein Wertstück in der Familie ist. In Flensburg ließ sich Lensch auf 2 Jahre beurlauben, um sein Wissen durch ein Universitätsstudium zu vertiefen. In Jena hörte er Prof. Rein, in Berlin Friedrich Paulsen, den Namensgeber des Niebüller Gymnasiums. Nach bestandener Mittelschullehrerprüfung heiratete er am 14. Juli 1909 in Rodenäs.

Aus dieser Ehe entstammen 3 Kinder. Am 7. April 1910 wurden in Flensburg die Zwillinge Johann und Julius und am 2. Oktober 1912 die Tochter Annemarie geboren.
Nach abgelegter Rektoratsprüfung wurde Alwin Lensch 1912 zum Leiter der Niebüller Volksschule berufen. Diese war, nachdem gut ein Jahrzehnt davor die Vereinigung der beiden Niebüller Schulen im Neubau erfolgt war, zu einer solchen Größe angewachsen, daß man einen Rektor zum Leiter bestellte.
Von nun ab ist Lensch mit Niebüll aufs engste verbunden. Er trat sein Amt mit hoher Auffassung von der ihm gestellten Aufgabe an. Das höchste Gut der Eltern zu formen, die Jugend hinzubringen an die Ideale dieses Lebens, die da sind Glaube, Liebe und Treue. Alwin Lensch hatte sich in einer großen inneren Berufung und großem Fleiß der Arbeit an der neu entstandenen Volksschule in Niebüll gewidmet. Tüchtige Mitarbeiter standen ihm zur Seite und so war bald eine Aufwärtsentwicklung der Niebüller Schule spürbar.
Das alles war zu einer Zeit, als Deutschland auf einem Gipfel seiner Größe war. Eine blühende Landwirtschaft, eine von Jahr zu Jahr wachsende Industrie, ein großes Kolonialreich, Überseehandel, Heer und Flotte von respekteinflößender Größe, das waren die Zeichen der damaligen Weltmachtstellung. Die große Wende begann mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges im Jahre 1914. 1917 wurde auch Rektor Lensch zum Heeresdienst einberufen und war bis zum Zusammenbruch in einer Nachrichtentruppe an der Westfront tätig. Mit stark geschädigter Gesundheit kehrte er zu seiner Familie zurück. Es war nicht seine Art, den Kopf hängen und mutlos die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Seine Sorge galt zunächst der Schule, an der so viele der gesponnenen Fäden zerrissen waren. Mit neuer Kraft begann er mit seinen Kollegen die Arbeit an der Niebüll Volksschule zu aktivieren. Ihm standen dabei bewährte Lehrkräfte zur Seite (Ernst Schmidt, Sievers, Frl. Wiesendanger, Muth und Hardensert). So wurden die Mängel und Schäden an der Niebüller Schule bald behoben.

Aber ein anderes Ereignis sollte für Niebüll eine noch größere Bedeutung haben. Am 14. März 1920 war die Abstimmung darüber, ob Friesland beim Deutschen Vaterland verbleiben oder Bestandteil des nördlichen Nachbarreiches Dänemark werden sollte. Daß eine solche Schicksalsstunde kommen könne, das hatte bei keinem im Bereich der Möglichkeiten gelegen. Mit großer Einsatzbereitschaft versuchte Rektor Lensch die Bedeutung dieser Entscheidung den Menschen klar zu machen. Denn manche waren schwankend geworden, zum Teil wohl aus Verärgerung aus den Kriegsjahren oder da man sich den Folgen der Katastrophe entziehen wollte. Hindu kamen allerlei Verlockungen aller vom Norden her. Eine Reihe anderer Männer standen ihm dabei maßgeblich zur Seite. Landrat Böhm, Julius Momsen, Richard Ortmann, Jessen Stoltelund und nicht zuletzt eben Alwin Lensch. Wegen seiner besonderen Aktivitäten für Deutschland musste er einmal sogar 500,00 DM Geldstrafe hinnehmen. Er war es, der die umfangreichen Vorbereitungen für den großen Friesentag am 19. August 1919 traf. An dem Tag erschienen von weither Festredner, deren Namen Klang hatten. In einer Festschrift zu diesem Friesentag im August 1919 schrieb Rektor Lensch:“Am 10. März 1919 hatten sich in Niebüll weit über 10.000,00 Nordfriesen zu einer gewaltigen Kundgebung zusammengefunden. In unseren Tagen wurden von dänischer Seite nun wieder einmal Ansprüche auf urdeutsche Gebiete erhoben, darum galt es jetzt, das ganze Nordfriesland aufzurufen, um die nationale Stellung des Landes und seiner Bewohner klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen.“
Die Abstimmung hatte eine Grenzverlegung zur Folge und Niebüll wurde Kreisort des verkleinerten Gebietes. Fast über Nacht kam ein Heer von Beamten aller Zweige nach hier, gleichzeitig auch das Lehrerseminar mit seinen Lehrkörpern. Alwin Lensch war wieder derjenige, der sofort die Situation erfasste. Es hieß Wohnraum schaffen. Da kam die Geburtsstunde der Siedlung. Lensch und Ludolf Detlefsen brachten es fertig, daß als Ding der Unmöglichkeit schien, Gelder und Materialien heranzuschaffen für den Wohnungsbau. Bald entstand die Tondern Straße. Auf allen maßgeblichen Geldinstituten war Lensch bald ein bekannter Mann. Man wusste, daß er sich schwer abspeisen ließ, aber fasste bald volles Vertrauen zu ihm. Durch seine Initiative erlebte Niebüll einen wirtschaftlichen Aufschwung von nicht geahnter Bedeutung. In Anerkennung seiner Verdienste benannte man eine Straße der Siedlung schon zu seinen Lebzeiten nach ihm. Vorgesehen war, die Gesamtanlage auf den Namen Alwin-Lensch-Siedlung zu taufen. Bald wurde in der angewachsenen Bevölkerung der Wunsch nach einer höheren Schule laut.

Im Kreise der Männer, die die Nordmark-Schule für Niebüll forderten, war Lensch wieder die treibende Kraft. In Berlin gewann man Verständnis für den Plan und willigte Gelder zum Bau der neuen Schule. Die Anfangsklassen brachte man in den Räumen der Volksschule unter und in Behelfsräumen des Ortes. Am 25. August 1925 war die Einweihung der Friedrich-Paulsen-Schule.
Rektor Lensch war durch seine Tratkraft hoch geschätzt, über die Ortsgrenzen Niebülls hinaus. Er wurde in den Kreistag berufen und gehörte auch dem Kreisausschuß an. Am 6. Januar 1930 wurde er zum Kreisdeputierten gewählt.
Alwin Lensch schöpfte Kraft und Mut aus einem herzlichen Familienleben. In der Rektorenwohnung wuchsen 3 Kinder heran, 2 Söhne und 1 Tochter. Alle 3 machten den Abschluß ihrer Schulbildung auf der Friedrich-Paulsen-Schule. Die Söhne wandten sich dem Studium der Rechtswissenschaft zu, die Tochter besuchte eine Haushaltungsschule in Tondern.
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Deutschland machte Alwin Lensch keinen Hehl draus, daß er mit diesem System nicht einverstanden war. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit der Parteileitung auf Orts- und Kreisebene wurde er seines Amtes als Rektor in Niebüll enthoben und vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Es folgten kurzfristige Inhaftierungen und große Demütigungen.
Diese Kränkungen überschatteten tief die letzten Jahre seines Lebens. Diese Zeit hat seiner Gesundheit schwer geschadet. In Bad Mergentheim suchte er Heilung. Die Genesung war nicht von langer Dauer. Nach überstandenen Operationen in Flensburg und Niebüll schloß Lensch, erst 53 Jahre alt, nach schmerzensreichen Wochen im Kreiskrankenhaus am 11. Februar 1938 seine Augen für immer. Ein ungewöhnlich großes Gefolge geleitete ihn zur letzten Ruhestätte auf dem Niebüller Friedhof. Alle waren sich der Tatsache bewußt, daß ein hochverdienter Mann einem weitverzweigtem Wirkungskreis entrissen war. Dem Vater bleibt der Schmerz um die gefallenen Söhne erspart. Der Sohn Johann fiel im Oktober 1941, der Sohn Julius im Sommer 1944 in Rußland. Auch die Tochter starb 44jährig im Jahre 1956. Minna Lensch, die ihrem Ehegatten in vielen guten und schweren Jahren hilfreich zur Seite gestanden hatte, starb als letzte aus der Familie Lensch im April 1957. Alwin Lensch und Ehefrau sowie seine Tochter Annemarie liegen auf dem Niebüller Friedhof begraben.
Von dieser Familie Lensch gibt es heute noch 3 Enkelkinder. Eine Tochter von Johann Lensch lebt als Ärztin in Kiel, die Tochter von Annemarie Lensch lebt als Lehrerin in Schönberg und der Sohn von Annemarie Lensch ist als Beamter bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel tätig.
Lothar Lamb